Russische Musik Was war zuerst ? Die Henne oder das Ei? Ist dies nicht eine ähnliche Fragestellung wie nach der Reihenfolge von Musik und Kultur? Um uns der Angelegenheit sinnvoll zu nähern, beleuchten wir am besten zunächst die grundlegende Frage: Was ist Musik? Eine mögliche Antwort ist, dass Musik ein Mittel ist, Gefühle und Stimmungen durch drei Werkzeuge auszudrücken, die über das Gehör wahrgenommen werden. Die drei Werkzeuge sind Rhythmus, Harmonik und Melodie, die in Wechselbeziehung zueinander einen Klang ergeben. Da alles im Universum einem gewissen Rhythmus unterliegt, sind auch wir als Menschen Teil davon. Das könnte der Grund sein, warum Musik mit bestimmten Rhythmen Spannungen löst und aufgestaute Emotionen verfliegen lässt. Wer hat es nicht erlebt, das schlechte Laune wie weggeblasen ist, sobald einige Takte des Lieblingssongs erklingen? Andererseits öffnen sich vor dem inneren Auge Welten und oftmals Beklemmungen, wenn wir ein Musikstück hören, welches uns an ein negatives Erlebnis erinnert. Schon sind wir auf dem Punkt angelangt und bei der Anfangsfrage gelandet. Hat jetzt das traurige Moll- Thema die Stimmung verdorben oder wird Moll nur deshalb als traurig empfunden, da es „zufällig“ mit derartigen Erinnerungen verknüpft wurde? Fest steht: Die Musik stellt eine Verknüpfung zur Vergangenheit dar und speichert Emotionen. Visuell kann man sich dieses komplizierte Konstrukt aus Emotionen, Erinnerungen und Naturelementen so vorstellen, als bestünde es aus vielen kleinen Zellen, in denen Emotionen gespeichert sind und durch Erklingen frei würden. Diese Befreiung reinigt die Seele und in unserem Gefühlshaushalt wird gründlich aufgeräumt. Denn nach dem Befreiungsprozess werden die Emotionen nicht wieder in die Zellen gesperrt. So phantastisch dieser Vergleich auch erscheinen mag, so führt er uns doch ein Stück weiter zur Erkenntnis über die Wechselwirkung zwischen Musik und Erleben. Fazit: Musik muss zumindestens in ähnlicher Form schon einmal gehört worden und mit einer Emotion verknüpft worden sein um bei uns Gefühle auszulösen. Doch aus welchem Grund fühlt sich nun einer zu einem Musikstil oder einer bestimmten Kultur mehr oder weniger hingezogen? Das ist einfach zu erklären: Mit dem Musikgeschmack verhält es sich nicht anders als mit anderen Vorlieben. Sie werden in der frühen Kindheit angelegt. Ob die Verknüpfungen sich auch in den Genen festsetzen und so die nächste Generation schon mit einer gewissen Ausrichtung geboren wird, wird von verschiedenen Forschungsrichtungen diskutiert. ___ Ein beeindruckendes Beispiel Kommen wir nun zur russischen Musik. Jeder wird schon einmal von der russischen Volksseele gehört haben. Allgemein muss zunächst angemerkt werden, dass Menschen dieses Landes noch sehr stark mit ihrer Kultur verwachsen sind. Die Nationalität kann man einem Russen „an der Nasenspitze“ ansehen. Es sind kleine Gesten, Bewegungen, vom russischen Akzent ganz zu schweigen. Auch der Klang der Stimme ist typisch. Das mag darin begründet sein, dass Russland als geographisch schwer erschliessbares Land an seine Bewohner seit jeher hohe Anforderungen stellte. Russland stand immer alleine für sich und verkörperte ein Feindbild. Darum ist die Existenz des russischen Volkes immer mit Schwermut, Entbehrungen und oft auch Leiden verbunden. Die russische Musik hat traurigen einen Grundtonus. Einen dunklen Faden, der sich durch die eingangs erwähnten Parameter zieht. Nicht umsonst sind russische Stimmen oft sehr tief. La Dolce Vita ist hier nicht zu finden. Einen weiteren großen Beitrag leistet die russische Orthodoxe Kirche. Hier wird die gesamte Lithurgie gesungen. Das durchaus Übersinnliche, was diesen Gesängen anhaftet, hat sich auch auf die Strassen Russlands übertragen. Was ein Russe tut, es ist immer in den Superlativen beheimatet. Musik machen gehört einfach dazu. Dabei darf natürlich nicht übersehen werden, dass die Russen einen unverwüstlichen Überlebenswillen haben und eine sprudelnde Lebensfreude. Allerdings ist darunter immer die Schwermut. So entstand eine Groteske von ganz besonderem Reiz. Es gibt weniger „stille Freude“ als laute Fröhlichkeit. Denn wenn es leise wird, kommt das dunkle wieder hervor. Diese Seiten sind sehr gut in russischen Kompositionen aller Färbungen zu erkennen. Dabei ist es der Geschichte zu verdanken, dass die eigenen Fähigkeiten sehr gut kontrolliert werden können. Jahrelange Regime -Forderungen unter Androhung schwerster Strafen oder andererseits unter Versprechungen verlockender Privilegien, haben hier ein gutes Training geleistet. Ein Russe handelt – auch in der Musik – immer mit Kalkül. Er steht immer ein bisschen neben sich und achtet akribisch auf seine Wirkung. Das hat mitunter zum Verlust von Authentizität und einer Art „naiver“, spontaner Spielfreude geführt, aber auch höchste Leistungen hervorgebracht. ___
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